Haftlmeier-Seiffert, Rena
Wahrnehmungsfehler. Vorbehalte gegen Mitgesellschafter
„Schon blöd, dass bei uns die Menge der Gesellschafteranteile mit Dummheit gepaart ist“, sagte neulich eine junge Gesellschafterin zu mir. Sie kommt aus einem großen Unternehmen mit sehr vielen Familiengesellschaftern, die in zwei Stammeslager gespalten sind. Der eine Stamm, aus dem sie kommt, war wohl in der Vergangenheit mit Kinderreichtum gesegnet, weshalb hier die Anteile sehr klein zersplittert sind, während sich beim anderen Stamm größere Einzelanteile erhalten haben.
„Mein Cousin ‚tickt‘ nicht richtig. Bedauernswerterweise muss man bei vielen seiner Handlungen und Entscheidungen feststellen, dass er hochgradig psychisch angeschlagen ist. Er macht alles nach bestem Wissen und Gewissen fürs Unternehmen. Doch leider ist er krank, der Arme“, so ein geschäftsführender Gesellschafter über seinen Partner in der Geschäftsführung und Mitgesellschafter, mit dem er im Dauerstreit liegt.
Und eine dritte Besucherin erzählte mir: „Stellen Sie sich vor, welche Frechheit mein Vater besitzt: zuerst verweigert er mir die Nachfolge im Unternehmen, weil er findet, eine Frau hat darin nichts zu suchen und setzt statt dessen meinen völlig unterentwickelten kleinen Bruder ein. Deshalb haben wir über ein Jahr schon nicht mehr miteinander geredet. Und jetzt lädt er mich zum 100-jährigen Betriebsjubiläum ein. Da will er mich doch nur vor der ganzen Belegschaft als die dem kleinen Bruder Unterlegene bloßstellen. Um den Mitarbeitern eine harmonische Familie vorzugaukeln, dazu bin ich gut genug. Nicht mit mir. So eine Boshaftigkeit!“
So unterschiedlich die Aussagen meiner Gesprächspartner sind, so sehr ähneln sie sich. Denn sie alle zeigen ein typisch menschliches (und in der Evolution oft sogar sehr hilfreiches) Verhaltensmuster: den feindseligen Wahrnehmungsfehler (vgl. Dogde 1993) oder den falsch-konnotierten Erklärungsfehler. Denn Kontrahenten im Streit werden oft als böse, dumm oder zumindest krankhaft wahrgenommen, um ihre Handlungen, die nicht den eigenen Erwartungen entsprechen, zu erklären. Dabei sind solche unerwarteten Handlungen in diesem Zusammenhang häufig kleine Friedensangebote. Sie werden jedoch umgedeutet, um ins eigene (feindselige) Schema zu passen und damit negiert.
Vielleicht wollte der Vater mit seiner Einladung zum Betriebsjubiläum der Tochter wieder einen Weg zum Unternehmen und zur Familie öffnen, sie wieder integrieren und ihr dabei sogar eine wichtige Rolle als Gesellschafterin zuweisen. Sie sollte möglicherweise eine Kontroll- und Beratungsfunktion erhalten, da der Vater sich aus dieser Rolle nach und nach zurückziehen will, er aber für seinen in der Tat noch etwas unreifen Sohn eine gute Beraterin sucht. Auch weiß er, dass der Bruder immer sehr auf seine große Schwester hörte. Der Erklärungsfehler der Tochter bestand jedoch darin, eine gegnerische Attacke zu vermuten und nicht ein Friedensangebot.
Etwas eleganter ist es, den Kontrahenten mit seinen anderen Ansichten als krankhaft hinzustellen. Dann kann der Arme ja nichts dafür. Und doch oder gerade deshalb fühlt man sich in seiner Überlegenheit bestärkt, kann ihm freundlich mitleidig gegenübertreten und hat auch gar kein so schlechtes Gefühl dabei, da man ihm ja nicht wirklich was Böses will. Und trotzdem werden die kleinen Friedensangebote des Cousins als krankhafte Anwandlungen abgetan, da sie auf eine nicht konsistente Persönlichkeit zu deuten scheinen. Natürlich nicht konsistent, sonst wären sie ja keine Schritte Richtung Frieden, heraus aus der geschlossenen Gegenkriegspartei.
Wenn man seinen ‚Gegner‘ als unfähig oder dumm hinstellt, so kann er zwar ebenfalls nichts dafür, allerdings ist diese Bewertung weniger freundlich, wenn auch genauso raffiniert, da man sich damit im Umkehrschluss natürlich als den Schlaueren markiert.
Warum scheint es diesen feindseligen Wahrnehmungsfehler oder diesen falsch-konnotierten Erklärungsfehler aber besonders häufig in Unternehmerfamilien zu geben? Nicht etwa weil es dort besonders viele bösartige, besonders dumme oder psychisch kranke Personen gibt. Dies ließe sich mit keiner Statistik beweisen. Nicht weil es hier besonders viel Streit und Konflikte gibt. Und dies wiederum nicht weil Unternehmerfamilien besonders streitsüchtig und besonders wenig kompromissbereit sind, wiederum nein, sondern weil im System Familienunternehmen besonders viele widersprüchliche Dilemmata und Paradoxien auszubalancieren sind. Denn was im Unternehmen richtig ist, kann in der Familie richtiggehend falsch sein und umgekehrt. Zählt im System Unternehmen beispielsweise wettbewerbliches Verhalten mit Willen zur Leistung und Vernichtung des Minderen zur gängigen und zielführenden Methode der Optimierung, so wäre ein solches Verhalten in der Familie geradezu schändlich. Hier muss bedingungslos geliebt, gefördert und respektiert werden. Wenn nun aber ein Unternehmerkind das Prinzip des Wettbewerbs so verinnerlicht hat, dass es sein Können permanent auf Kosten des Bruders herausstellt, so wird es schnell innerhalb der Familie als krankhaft ehrgeizig gebrandmarkt. Würde aber umgekehrt ein Unternehmer immer auf alle schwachen Mitarbeiter Rücksicht nehmen, sie trotz Minderleistung sehr gut bezahlen und bedingungslos respektieren, so wird er bald als inkompetenter, ja einfältiger Unternehmer dastehen. Sowenig dieser Unternehmer dumm und sowenig der Bruder krankhaft sein muss, so sehr durchbricht ihr Verhalten die an sie gestellten (unreflektierten) Erwartungen. Sie irritieren und bedürfen einer Erklärung. Böse, dumm oder krankhaft sind gute Etiketten, mit denen man sich jeder weiteren Nachfrage oder Auseinandersetzung über den Grund für das beobachtete und scheinbar falsche Tun enthebt, und mit denen man sich selbst gleichzeitig auch noch ganz leicht im Umkehrschluss als schlau, lebensstrotzend und gut hinstellt. Dabei manifestiert man die eigene, kaum hinterfragte Einstellung und Handlung und bestätigt diese. Im ersten Moment scheint dies ein einfacher Weg, um zu überleben (deshalb hat uns ein solches Verhalten im Laufe der Evolution ja auch einen Vorteil verschafft), auf Dauer und in einer nunmehr wesentlich komplexeren Welt wird es aber um so anstrengender, weil Konflikte und Streit und Gegnerschaft immer wieder bestätigt und daher nie überwunden werden oder sogar im großen gemeinsamen Untergang enden. Es lohnt sich also bei irritierenden oder verstörenden Handlungen von Konfliktgegnern auch einmal nach neuen Konnotationen zu suchen und damit neu und nicht feindselig zu erklären.
Um diese evolutionsbedingten Verhaltensmuster zu überwinden, bedarf es Selbstreflexion und Bewusstheit über das eigene Tun und Denken sowie Bereitschaft zu echter Kommunikation. Unterstützung hierfür kann man bei speziellen Seminaren, durch Coachings und durch ernsthafte Beschäftigung mit Fachliteratur finden. Denn so sehr man diesen typischen Verhaltensmustern ausgeliefert ist, so wenig ist es zwingend, dass man sich ihnen ergibt und sie auf ewig perpetuiert.
„Schon blöd, dass bei uns die Menge der Gesellschafteranteile mit Dummheit gepaart ist“, sagte neulich eine junge Gesellschafterin zu mir. Sie kommt aus einem großen Unternehmen mit sehr vielen Familiengesellschaftern, die in zwei Stammeslager gespalten sind. Der eine Stamm, aus dem sie kommt, war wohl in der Vergangenheit mit Kinderreichtum gesegnet, weshalb hier die Anteile sehr klein zersplittert sind, während sich beim anderen Stamm größere Einzelanteile erhalten haben.
„Mein Cousin ‚tickt‘ nicht richtig. Bedauernswerterweise muss man bei vielen seiner Handlungen und Entscheidungen feststellen, dass er hochgradig psychisch angeschlagen ist. Er macht alles nach bestem Wissen und Gewissen fürs Unternehmen. Doch leider ist er krank, der Arme“, so ein geschäftsführender Gesellschafter über seinen Partner in der Geschäftsführung und Mitgesellschafter, mit dem er im Dauerstreit liegt.
Und eine dritte Besucherin erzählte mir: „Stellen Sie sich vor, welche Frechheit mein Vater besitzt: zuerst verweigert er mir die Nachfolge im Unternehmen, weil er findet, eine Frau hat darin nichts zu suchen und setzt statt dessen meinen völlig unterentwickelten kleinen Bruder ein. Deshalb haben wir über ein Jahr schon nicht mehr miteinander geredet. Und jetzt lädt er mich zum 100-jährigen Betriebsjubiläum ein. Da will er mich doch nur vor der ganzen Belegschaft als die dem kleinen Bruder Unterlegene bloßstellen. Um den Mitarbeitern eine harmonische Familie vorzugaukeln, dazu bin ich gut genug. Nicht mit mir. So eine Boshaftigkeit!“
So unterschiedlich die Aussagen meiner Gesprächspartner sind, so sehr ähneln sie sich. Denn sie alle zeigen ein typisch menschliches (und in der Evolution oft sogar sehr hilfreiches) Verhaltensmuster: den feindseligen Wahrnehmungsfehler (vgl. Dogde 1993) oder den falsch-konnotierten Erklärungsfehler. Denn Kontrahenten im Streit werden oft als böse, dumm oder zumindest krankhaft wahrgenommen, um ihre Handlungen, die nicht den eigenen Erwartungen entsprechen, zu erklären. Dabei sind solche unerwarteten Handlungen in diesem Zusammenhang häufig kleine Friedensangebote. Sie werden jedoch umgedeutet, um ins eigene (feindselige) Schema zu passen und damit negiert.
Vielleicht wollte der Vater mit seiner Einladung zum Betriebsjubiläum der Tochter wieder einen Weg zum Unternehmen und zur Familie öffnen, sie wieder integrieren und ihr dabei sogar eine wichtige Rolle als Gesellschafterin zuweisen. Sie sollte möglicherweise eine Kontroll- und Beratungsfunktion erhalten, da der Vater sich aus dieser Rolle nach und nach zurückziehen will, er aber für seinen in der Tat noch etwas unreifen Sohn eine gute Beraterin sucht. Auch weiß er, dass der Bruder immer sehr auf seine große Schwester hörte. Der Erklärungsfehler der Tochter bestand jedoch darin, eine gegnerische Attacke zu vermuten und nicht ein Friedensangebot.
Etwas eleganter ist es, den Kontrahenten mit seinen anderen Ansichten als krankhaft hinzustellen. Dann kann der Arme ja nichts dafür. Und doch oder gerade deshalb fühlt man sich in seiner Überlegenheit bestärkt, kann ihm freundlich mitleidig gegenübertreten und hat auch gar kein so schlechtes Gefühl dabei, da man ihm ja nicht wirklich was Böses will. Und trotzdem werden die kleinen Friedensangebote des Cousins als krankhafte Anwandlungen abgetan, da sie auf eine nicht konsistente Persönlichkeit zu deuten scheinen. Natürlich nicht konsistent, sonst wären sie ja keine Schritte Richtung Frieden, heraus aus der geschlossenen Gegenkriegspartei.
Wenn man seinen ‚Gegner‘ als unfähig oder dumm hinstellt, so kann er zwar ebenfalls nichts dafür, allerdings ist diese Bewertung weniger freundlich, wenn auch genauso raffiniert, da man sich damit im Umkehrschluss natürlich als den Schlaueren markiert.
Warum scheint es diesen feindseligen Wahrnehmungsfehler oder diesen falsch-konnotierten Erklärungsfehler aber besonders häufig in Unternehmerfamilien zu geben? Nicht etwa weil es dort besonders viele bösartige, besonders dumme oder psychisch kranke Personen gibt. Dies ließe sich mit keiner Statistik beweisen. Nicht weil es hier besonders viel Streit und Konflikte gibt. Und dies wiederum nicht weil Unternehmerfamilien besonders streitsüchtig und besonders wenig kompromissbereit sind, wiederum nein, sondern weil im System Familienunternehmen besonders viele widersprüchliche Dilemmata und Paradoxien auszubalancieren sind. Denn was im Unternehmen richtig ist, kann in der Familie richtiggehend falsch sein und umgekehrt. Zählt im System Unternehmen beispielsweise wettbewerbliches Verhalten mit Willen zur Leistung und Vernichtung des Minderen zur gängigen und zielführenden Methode der Optimierung, so wäre ein solches Verhalten in der Familie geradezu schändlich. Hier muss bedingungslos geliebt, gefördert und respektiert werden. Wenn nun aber ein Unternehmerkind das Prinzip des Wettbewerbs so verinnerlicht hat, dass es sein Können permanent auf Kosten des Bruders herausstellt, so wird es schnell innerhalb der Familie als krankhaft ehrgeizig gebrandmarkt. Würde aber umgekehrt ein Unternehmer immer auf alle schwachen Mitarbeiter Rücksicht nehmen, sie trotz Minderleistung sehr gut bezahlen und bedingungslos respektieren, so wird er bald als inkompetenter, ja einfältiger Unternehmer dastehen. Sowenig dieser Unternehmer dumm und sowenig der Bruder krankhaft sein muss, so sehr durchbricht ihr Verhalten die an sie gestellten (unreflektierten) Erwartungen. Sie irritieren und bedürfen einer Erklärung. Böse, dumm oder krankhaft sind gute Etiketten, mit denen man sich jeder weiteren Nachfrage oder Auseinandersetzung über den Grund für das beobachtete und scheinbar falsche Tun enthebt, und mit denen man sich selbst gleichzeitig auch noch ganz leicht im Umkehrschluss als schlau, lebensstrotzend und gut hinstellt. Dabei manifestiert man die eigene, kaum hinterfragte Einstellung und Handlung und bestätigt diese. Im ersten Moment scheint dies ein einfacher Weg, um zu überleben (deshalb hat uns ein solches Verhalten im Laufe der Evolution ja auch einen Vorteil verschafft), auf Dauer und in einer nunmehr wesentlich komplexeren Welt wird es aber um so anstrengender, weil Konflikte und Streit und Gegnerschaft immer wieder bestätigt und daher nie überwunden werden oder sogar im großen gemeinsamen Untergang enden. Es lohnt sich also bei irritierenden oder verstörenden Handlungen von Konfliktgegnern auch einmal nach neuen Konnotationen zu suchen und damit neu und nicht feindselig zu erklären.
Um diese evolutionsbedingten Verhaltensmuster zu überwinden, bedarf es Selbstreflexion und Bewusstheit über das eigene Tun und Denken sowie Bereitschaft zu echter Kommunikation. Unterstützung hierfür kann man bei speziellen Seminaren, durch Coachings und durch ernsthafte Beschäftigung mit Fachliteratur finden. Denn so sehr man diesen typischen Verhaltensmustern ausgeliefert ist, so wenig ist es zwingend, dass man sich ihnen ergibt und sie auf ewig perpetuiert.