Um ehrlich zu sein, haben mich die Herausgeber-Autor*innen zunächst ziemlich verstimmt. Denn gleich zu Beginn wird mir – die ich doch schon mehr als einen Aufsatzband in der Hand gehalten habe – von ihnen erklärt, dass es tatsächlich erlaubt ist, nur ausgewählte Aufsätze zu lesen! Und zu allem Überfluss wird dieser wohlfeile Tipp auch noch "Spielanleitung" und nicht Leseanleitung genannt. Ich fühlte mich als Leserin nicht ernst genommen und war gekränkt. Also landete der Aufsatzband auf dem hohen Stapel ungelesener Bücher und rutschte dort unbeachtet immer weiter nach unten. Nur meine sich allenthalben einstellenden Aufräumattacken bewahrten dieses Buch vor meiner arroganten Ignoranz. Glücklicherweise. Denn als ich eher zufällig hineinlas, bevor der Band endgültig im Bücherregal verschwinden sollte, las ich mich fest.
Familienstrategie erleben und gestalten spannt einen breiten interdisziplinären Fächer auf. Die Beiträge stammen von Praktiker*nnen, Betroffenen und Expert*nnen. Sie sind in der Regel nicht wissenschaftlich, aber meist klug, praxisnah und hilfreich, da immer mit enger Verbindung zu und Erfahrung mit Unternehmerfamilien.
Die Vielfalt reicht von sehr prinzipiellen Fragestellungen wie beispielsweise der nach der Sinnhaftigkeit von Unternehmertum (Jonas Nussbaumer/ Leonie Novotny) oder der Genderthematik (Daniela Jäkel-Wurzer) über Detailaspekte in der Unternehmenspraxis wie Fremdgeschäftsführung (Ralph P. Siegl), Cyberangriffe auf Familienunternehmen (Christian Schaaf) bzw. in der Familienpraxis wie Vermögensmanagement (Daniel Schüller/ Nils Metter/ Stephan Buchwald und Boris Niekammer) bis hin zu Praxistools zum Umgang mit Unternehmerfamiliendynamiken (Anja Genius) und Unternehmerfamilientypen (Till Novotny). Auch die Reflexion von narzisstischen Charakterzügen von Unternehmerpersönlichkeiten (Heinz Peter Röhr) oder die Erfahrungsberichte über die Erstellung der Familienmaximen (Carola Jungwirth und Dominique Otten-Pappas), über die Einbindung von Unternehmerfamilienmitgliedern (Marius C. Schuler) oder über ein Sabbatical als Unternehmerin (Daniela Tigges) und über vieles mehr sind gewinnbringend zu lesen.
Alle Beiträge vereint der Wille, den Leser*innen nicht zu sagen, was er oder sie zu tun hat, sondern ihnen einen Impuls zur Reflexion zu geben.
Deshalb hat das Buch verdient, wirklich gelesen zu werden und nicht nur auf dem unaufgeräumten Bücherstapel zu landen oder säuberlich im Regal zu stehen.
Dr. Rena Haftlmeier-Seiffert